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mHealth in Afrika

Prophylaxe, Impfstoffe, Medikamente: Das sind die üblichen Waffen im Kampf gegen Infektionen. Bei der Ausrottung der Malaria in Afrika könnten außerdem Mobilgeräte eine Schlüsselrolle einnehmen – bei Versorgung, Prävention und epidemiologischer Forschung.

Die offizielle Geschichte der Malariabekämpfung in den letzten 15 Jahren wird üblicherweise als Erfolgsstory erzählt: Rund eine Million Menschen starben um die Jahrtausendwende pro Jahr an Malaria. Seither ist diese Zahl um 47 Prozent zurückgegangen. Es gibt mittlerweile 115 Länder, in denen keine Malariaübertragung mehr stattfindet. Weiter etwa 30 stehen kurz davor. Zwar sterben weltweit noch immer 584.000 Menschen pro Jahr an den hämatologischen und neurologischen Komplikationen des durch Anophelesmücken übertragenen Wechselfiebers. Doch die Zeiten, in denen die Malaria mit Tuberkulose und HIV um den zweifelhaften Ruhm der tödlichsten Infektionserkrankung wetteiferte und oft gewann, sind vorbei.

 

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt Regionen, in denen sich in den letzten 15 Jahren nur wenig verbessert hat. In Ländern wie Kenia, Tansania, Uganda und in Teilen Westafrikas gibt es ganze Landstriche, in denen die Erkrankung endemisch ist. Was das heißt, weiß James Abonyo Kolla, 29 Jahre alter Bauer in dem Dorf Kogelo in Westkenia, ein Stück nördlich vom Viktoriasee. Er erkrankt mehrmals im Jahr an Malaria, zweimal, dreimal, manchmal auch häufiger. Vor fünf Jahren starb seine Schwester im Alter von 24 Jahren an dieser Erkrankung, ein ungewöhnliches Alter. Denn in der großen Mehrzahl der Fälle rafft die Malaria kleine Kinder dahin. Noch immer stirbt auf der Erde alle 60 Sekunden ein Kind an Malaria. Wer die Kindheit überlebt, ist als Erwachsener oft resistent genug, um „nur noch“ schweres Fieber zu bekommen.

 

Doch aus das zehrt: Die Zuckerfabrik Mumias liegt ein paar Stunden Busfahrt nördlich von Kisumu, der Provinzhauptstadt von Westkenia. Stadt und Fabrik liegen mitten im Endemiegebiet. Knapp 2000 Mitarbeiter sind dort fest angestellt und werden von einem betriebseigenen Gesundheitsdienst medizinisch versorgt. Dazu kommen einige tausend Familienangehörige und nochmal so viele Saisonarbeiter auf den Zuckerrohrplantagen, alles in allem vielleicht 10.000, vielleicht 15.000 Menschen. Pro Jahr verbrauchten diese maximal 15.000 Menschen bis vor zwei Jahren 100.000 Dosierungen des Standardmedikaments, einer Artemisinin-basierten Kombinationstherapie (ACT). Das war schon viel. Dann wurde aus Kostengründen aufgehört, auf den Plantagen um die Fabrik Mückenschutzmittel zu vernebeln. Seither werden pro Jahr 300.000 Dosierungen nötig. Dreihunderttausend.

 

Der Grund für diesen extrem hohen Wert liegt darin, dass es viel zu wenige Malariaschnelltests gibt, und viel zu wenig Personal, um bei jedem Patienten mit Fieber einen konventionellen Malariatest per Mikroskop machen zu können. Im realen Alltag wird höchstens jeder fünfte Fieberpatient getestet. Entsprechend häufig wird auf Malaria behandelt, auch wenn gar keine Malaria vorliegt. „Meistens behandeln wir auf Verdacht, auch wenn wir wissen, dass dadurch die Resistenzgefahr steigt“, sagt Khamis Athman Wangara, Krankenpfleger beim Mumias-Gesundheitsdienst.

 

Die Mumias Zuckerfabrik mit ihrem privatwirtschaftlich organisierten medizinischen Dienst ist insofern privilegiert, als ACT dort immer vorhanden ist. Anderswo ist das schwieriger. Es gibt immer wieder Versorgungsengpässe. Das liegt nicht daran, dass die Medikamente per se knapp wären. Seit die internationalen Geber unter maßgeblicher Beteiligung der Gates Foundation pro Jahr über drei Milliarden Dollar in die Malariabekämpfung pumpen, hat sich die Versorgungslage bei den Medikamenten entspannt. Das Problem ist die Logistik. Je nach Saison und aktueller Endemiesituation gehen vielen kleineren Gesundheitszentren auf dem Land immer wieder einmal die Medikamente aus. Es gibt oft keine systematische Erfassung, weder von Krankheitsdaten noch von Lagerbeständen.

 

In Tansania war das auch so, doch dort hat man vor vier Jahren gehandelt. Auf Initiative des Unternehmens Novartis, das sich dazu unter anderem mit IBM, Google und Vodafone zusammengetan hatte, wurde das Projekt „SMS for Life“ gestartet, eine Mobilfunkplattform, die mit SMS-Nachrichten arbeitet. Weniger als 80 Dollar kostet die Plattform pro Einrichtung pro Jahr. „Einmal pro Woche übermitteln die Gesundheitszentren mit Hilfe eines standardisierten SMS-Codes ihre Lagerbestände, einmal im Monat werden außerdem Daten zu Neuinfektionen, Testergebnissen und Todesfällen übermittelt“, erläuterte Programmdirektor Jim Barrington, der das Projekt und seine aktuellen Ausbaustufen bei einer von der NGO „Malaria No More“ und der „Novartis Malaria Initiative“ organisierten Veranstaltung in Nairobi vorstellte.

 

Die Daten fließen in die Plattform, werden dort praktisch komplett automatisiert ausgewertet und danach in Google Maps-Karten anschaulich dargestellt. So haben nicht nur die zuständigen Regionalregierungen, sondern auch die nationalen Gesundheitsministerien jederzeit einen kompletten Überblick über die aktuelle Versorgungslage und über epidemiologische Kerndaten in mehreren zehntausend Gesundheitszentren. Diese Transparenz zeigte Wirkung: „In Tansania konnte der Anteil der Einrichtungen, denen die Medikamente ausgingen, von 42 Prozent auf unter 6 Prozent gesenkt werden“, so Barrington.

 

Der Charme an „SMS for Life“ ist, dass die Plattform von den jeweiligen Behörden betrieben wird. Einmal aufgesetzt sind weder eine NGO noch Spendengelder erforderlich, um den Betrieb zu gewährleisten. Auch deswegen hat mittlerweile eine ganze Reihe von Ländern in Afrika südlich der Sahara den Dienst eingeführt – nicht nur für die Malaria, sondern auch für andere Erkrankungen und andere Arzneimittel.

 

Und die Technik entwickelt sich weiter: In Nigeria wird derzeit der neue, Tablet-PC-basierte Dienst „SMS for Life 2.0“ pilotiert. „Der Tablet-PC erlaubt eine viel umfangreichere Datenübermittlung“, so Barrington. Sieben unterschiedliche Infektionserkrankungen werden in Nigeria wöchentlich getrackt. Die kompletten Impfprogramme für Mütter und Kinder werden dokumentiert. Und natürlich sind auch die Lagerbestände unterschiedlichster Medikamente abrufbar. Auch über die Finanzierung haben sich die Architekten der Plattform Gedanken gemacht. Der Service ist mit 250 Dollar pro Einrichtung und Jahr inklusive Tablet-PC nicht prohibitiv teuer. Und dadurch, dass der Tablet-PC genutzt werden kann, um Fortbildungen für das medizinische Personal über Video einzuspielen, wird zusätzlich Geld gespart: „Wenn pro Jahr zwei bis drei klassische Fortbildungen durch Videotutorials ersetzt werden, ist das Geld schon wieder eingespielt“, so Barrington.

 

Programme wie „SMS for Life“ sind einer der Gründe, warum der Amerikaner Martin Edlund, CEO von „Malaria No More“, davon überzeugt ist, dass das Mobiltelefon neben den Malariaschnelltests zu einer der ganz entscheidenden Waffen im Kampf um die Ausrottung der Malaria werden wird. Denn darum geht es: Malaria ist eine Erkrankung, die nur den Menschen betrifft. Es gibt außer der Mücke keine anderen Wirte. Damit ist sie ähnliche wie Pocken, Polio oder Masern potenziell eliminierbar. Und letztlich muss sie auch eliminiert werden, wenn die hohen Spendensummen, die derzeit in die Malariabekämpfung fließen, nicht bis in alle Ewigkeit fließen sollen.

 

“SMS for Life“ ist nur ein Beispiel, wie Mobiltelefone in Afrika eingesetzt werden, um Malaria zu bekämpfen. Es gibt auch ganz andere Projekte, solche die beim Bürger ansetzen und präventiven Charakter haben und solche, in denen das Mobiltelefon zu einem Werkzeug der Malariaforschung wird. Eines von Edlunds Lieblingsbeispielen ist ein zeitlich begrenztes Projekt, das „Malaria No More“ gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter MTN in Kamerun initiiert hat. MTN hat seinen sieben Millionen Kunden mehrere Monate lang ein- bis zweimal pro Woche Erinnerungen per SMS bzw. MMS geschickt, und zwar immer abends, zur Bettgehzeit. Die Nachrichten wurden im Namen von landesweit bekannten Fußballern, Musikern und anderen Sympathieträgern verschickt und erinnerten die jeweiligen Empfänger daran, in ihren Haushalten darauf zu achten, dass insbesondere Kinder nachts unter einem Moskitonetz schlafen.

 

„Malaria No More“ hat diese Aktion wissenschaftlich ausgewertet und konnte zeigen, dass der Einsatz von Moskitonetzen dadurch um 12 Prozent nach oben ging. „Insgesamt schliefen während dieser relativ kurzen Kampagne 500.000 Kinder unter Malarianetzen, die sonst nicht darunter geschlafen hätten“, so Edlund.

 

Ein weiteres, recht eindrucksvolles Beispiel für den Einsatz von Mobilfunktechnologie im Rahmen der Malariabekämpfung betrifft Kenias Hauptstadt Nairobi. Für Touristen gilt Nairobi als malariafrei. Doch Nairobi hat auch andere Ecken als die Innenstadt, den malerischen Stadtteil Karen und den Nationalpark, jene Orte, an denen Ausländer sich üblicherweise aufhalten. Auf halbem Weg zwischen der Innenstadt und Karen liegt Kibera, der größte Slum des Kontinents. Kein Asphalt. Offene Kanalisation. Wellblechhütten.

 

In Kibera schafft es die Malaria trotz im Prinzip malariafreiem Nairobi bei Kindern unter 5 Jahren in die Top 6 der Erkrankungshitliste. Wie kann das sein? Die Krankenschwester Mary Najoli, die in Kiberas Stadtviertel Soweto-East als Ehrenamtliche an einem von der lokalen NGO AMREF betriebenen Gesundheitszentrum arbeitet, weiß warum: „Das wird eingeschleppt. Viele Slum-Bewohner besuchen zu den Feiertagen ihre Familien im Westen des Landes. Sie bringen die Malaria dann mit.“

 

Nun sind aber auch in Kenia nicht dauernd Feiertage. Es muss also noch andere Wege geben, auf denen regelmäßig Plasmodien nach Nairobi eingeschleppt werden, und zwar nur in den Slum, nicht so sehr in andere Ecken der Stadt. Kenianische Wissenschaftler haben sich das kürzlich mal etwas genauer angesehen. In einer Kooperation mit dem Mobilfunkanbieter Safari.com wurden die anonymisierten Verbindungsdaten von 15 Millionen Handynutzern ausgewertet und mit epidemiologischen Malariakarten überlagert. Auf diese Weise konnte eine Großplantage auf halbem Weg zwischen Nairobi und dem Victoriasee identifiziert werden, von der aus pendelnde Plantagenarbeiter regelmäßig Malaria einschleppen. Präventionsmaßnahmen auf der Plantage sollen jetzt helfen, die Zahl der Malariafälle in Kibera zu senken.

 

 

Klar ist, dass Mobilfunkgeräte keine Wunderwaffen sind. Die Zahl der gestarteten mHealth-Projekte auf dem afrikanischen Kontinent ist mittlerweile genauso Legion wie die Zahl der gescheiterten Projekte. Eine USAID-Studie hat das kürzlich für die Region Westafrika eindrucksvoll zu Papier gebracht. Eine ganze Reihe hoffnungsvoll gestarteter Projekte brachen in sich zusammen, als die Fördermittel ausblieben. „Viele mHealth-Projekte in Afrika sind zu technologiegetrieben“, sagt Joe Gallagher, der sich am University College Dublin wissenschaftlich mit mHealth-Projekten in Afrika beschäftigt. „Die große Frage ist immer: Macht ein Projekt wirklich einen Unterschied? Wir müssen zeigen, dass wir etwas verbessern, sonst macht es unter Umständen mehr Sinn, das Geld anderweitig zu verwenden.“