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Bildgebung: Kathetertherapie bei Schlaganfall

Foto: Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

So schnell kann das Blatt sich wenden: Durch drei negative Studien geriet die Katheterbehandlung bei Schlaganfall vor zwei Jahren aufs Abstellgleis. Doch nach weiteren vier überzeugenden Studien ist die Therapie jetzt zurück. Das ist gut für die Patienten und gibt auch einen Schub für Bildgebung und Bildanalytik.

 

Nicht nur in der Neurologie, auch in der Gesundheits-IT-Szene ist die Schlaganfallversorgung seit Jahren ein Thema, über das gerne und häufig gesprochen wird. Die Häufigkeit der Erkrankung nimmt aufgrund des demografischen Wandels zu. Mittlerweile erleiden deutlich über 200 000 Menschen pro Jahr allein in Deutschland einen meist ischämischen Schlaganfall. Ein Drittel dieser Patienten stirbt, ein weiteres Drittel wird pflegebedürftig, das ist zumindest eine oft gehörte Faustregel.


Der großen Zahl betroffener Patienten stehen unübersehbare Versorgungsdefizite gegenüber, die ganz unterschiedliche Gründe haben. Es gibt wenige effektive Therapien, und die, die es gibt, funktionieren am besten, wenn die Patienten so schnell wie möglich versorgt werden. Es gibt regionale Versorgungsengpässe, die damit zusammenhängen, dass Schlaganfallpatienten eine hochspezialisierte Versorgung benötigen, die Fälle aber nicht häufig genug sind, um eine Infrastruktur ähnlich der Herzinfarktinfrastruktur rechtfertigen zu können. Ein weiteres Problem ist die Differenzierung der Schlaganfallursachen, die eine aufwendigere Bildgebung erfordert als beim Herzinfarkt.

Ärzte und Gesundheitsversorger versuchen, die Defizite in der Schlaganfallversorgung auf unterschiedliche Weise zu adressieren. IT-seitig können oft durch IT-gestützte „Notfallpfade“ unter Einbeziehung von Krankenhäusern und Rettungswesen die Versorgungszeiten minimiert werden. Eine telemedizinische Anbindung des Notarztwagens oder gar ein auf Schlaganfälle spezialisierter Notarztwagen wie das Berliner STEMO können weitere Zeit retten. Regionale Ungleichgewichte lassen sich durch telemedizinische Schlaganfallnetze einebnen. Aber auch aufseiten der Behandlung wird mit dem Versuch angesetzt, das Spektrum der verfügbaren Maßnahmen zu verbreitern und so mehr Patienten eine Behandlung zu ermöglichen beziehungsweise die Erfolgsaussichten der Therapie zu verbessern.


Viel diskutiert wurden in diesem Zusammenhang die Katheterverfahren für die Entfernung von Blutgerinnseln in Hirngefäßen, die sogenannten Stent-Retriever. Bei diesem Verfahren erfolgt zunächst eine notfallmäßige Schnittbildgebung mit CT oder MRT, um eine Blutung auszuschließen. Danach wird mithilfe einer Angiografie der Gefäßstatus erhoben und jenes Gefäß identifiziert, das durch einen Thrombus verstopft ist. Unter Durchleuchtung wird dieser Thrombus dann mithilfe der Stent-Retriever entfernt. Teilweise wird zusätzlich eine konventionelle, mitunter auch dosisreduzierte intravenöse Lysebehandlung durchgeführt.


Stent-Retriever galten eine Zeit lang als die neuen Herzkatheter. Doch alle Hoffnungen drohten vor zwei Jahren plötzlich Medizingeschichte zu werden. Damals wurden drei randomisierte Studien publiziert, deren Ergebnisse für viele unerwartet kamen und die eine erhebliche Katerstimmung in der Neuroradiologie zur Folge hatten. Die Studien hießen SYNTHESIS, IMS III und MR RESCUE.

Am meisten diskutiert  wurde die vergleichsweise große IMS-III-Studie, bei der 656 Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall des Schweregrads NIHSS>9 entweder nur mit intravenöser Lyse oder zusätzlich mit mechanischer Thrombektomie behandelt wurden. Die Studie wurde gestoppt, als sich abzeichnete, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen beim Anteil der Patienten mit gutem klinischem Ergebnis gab. In der SYNTHESIS-Studie, bei der die intravenöse Lyse und die mechanische Thrombektomie direkt verglichen wurden, schnitten die Patienten in der Lysegruppe sogar besser ab.

Die Studien wurden damals relativ rasch kritisiert. Unter anderem wurde darauf hingewiesen, dass es sich überwiegend um alte Kathetersysteme handelte. Auch an der Auswahl der Patienten hatten viele Experten etwas auszusetzen. Andererseits gab es keine besseren Daten, sodass die mechanische Thrombektomie seither zumindest nicht mehr massiv propagiert wurde.


Das dürfte sich jetzt ändern. Schon Ende 2014 wurden bei der World Stroke Conference erste Ergebnisse der MR-CLEAN-Studie bekannt, an der 500 Patienten mit ischämischem Schlaganfall und einem Blutgerinnsel in relativ nah an den Hauptschlagadern liegenden, „proximalen“ Hirnarterien teilnahmen. Dies war einer der Unterschiede zu früheren Studien. In der MR-CLEAN-Studie erhielten die Patienten ähnlich wie in der IMS-III-Studie eine intravenöse Lyse. Bei der Hälfte der Patienten erfolgte zusätzlich eine mechanische Thrombektomie mit einem modernen System. Nach 90 Tagen zeigte sich, dass der Anteil der Patienten mit gutem klinischem Outcome in der Gruppe mit Kathetertherapie bei 33 Prozent lag und damit deutlich höher als in der Vergleichsgruppe mit 19 Prozent. Die Studie wurde daraufhin vorzeitig beendet.


Bei der Internationalen Schlaganfall-Konferenz (ISC) in Nashville, Tennessee, wurden dann im Februar 2015 gleich drei weitere randomisierte Studien präsentiert, die zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen wie MR CLEAN. Es handelte sich um die EXTEND-IA-Studie, die ESCAPE-Studie und die SWIFT-PRIME-Studie. Die EXTEND-IA-Studie und die ESCAPE-Studie wurden vorzeitig abgebrochen. Bei der SWIFT-PRIME-Studie wurde die Patientenrekrutierung gestoppt.


Die größte der drei Studien war die ESCAPE-Studie mit 316 Teilnehmern. Hier hatten nach 90 Tagen beeindruckende 53 Prozent der Patienten ein gutes neurologisches Outcome, wenn die mechanische Thrombektomie zusätzlich zur Lyse eingesetzt wurde. Bei alleiniger Lyse waren es nur 29,3 Prozent. Auch die Sterblichkeit war in der Kathetergruppe geringer. In der SWIFT-PRIME-Studie sieht es ähnlich aus: In der Zwischenauswertung nach 196 Patienten hatten 60,2 Prozent der kombiniert behandelten Patienten ein gutes Outcome, gegenüber 32,5 Prozent bei „Lyse pur“. Auch hier gab es einen Mortalitätsvorteil, der allerdings nicht statistisch signifikant war.


Bevor man angesichts dieser Prozentzahlen in Begeisterungsstürme ausbricht, sollte man sich allerdings vergegenwärtigen, dass die Patienten in allen vier Studien sehr penibel ausgewählt wurden. Es hat nach der Veröffentlichung von IMS III, SYNTHESIS und MR RESCUE nicht umsonst zwei Jahre gedauert, bis neue Daten vorlagen. Rekrutiert wurden ausschließlich Patienten mit großem Schlaganfall in den proximalen Hirngefäßen, die innerhalb des Lysezeitfensters ins Krankenhaus kamen. Das sind den Experten zufolge allenfalls 10 bis 20 Prozent aller Schlaganfallpatienten. Doch selbst von diesen Patienten seien längst nicht alle für den Katheter geeignet, wie Professor Christoph Groden, Direktor der Abteilung für Neuroradiologie der Universitätsmedizin Mannheim betont: „Die Behandlung kommt für etwa fünf Prozent der Schlaganfallpatienten infrage.“


Darauf weisen auch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie hin, die die Ergebnisse dennoch „spektakulär“ nennen. Sie haben hochgerechnet, dass bei konsequenter Anwendung des Verfahrens in Deutschland bis zu 10 000 Menschen pro Jahr vor Tod oder dauerhafter Behinderung geschützt werden könnten. Angesichts dessen sehen die Gesellschaften den dringenden Bedarf, die bestehenden Versorgungsstrukturen der akuten Schlaganfallbehandlung zu optimieren. Dies
würde nicht nur bedeuten, dass entsprechende Katheterkapazitäten aufgebaut werden. Es müsste auch gewährleistet sein, dass die Patienten in einem relativ knappen Zeitfenster eine adäquate Bildgebung erhalten. In jedem Fall müsse die aufwendige Therapie in spezialisierten Neurozentren mit Stroke Unit, Neuroradiologie und neurologischer Intensivstation erfolgen, so die einhellige Auffassung der Fachgesellschaften.


Sollte eine derartige Infrastruktur aufgebaut werden, dann wird sich das auch auf die digitale Bildgebung und die softwaregestützte Bildanalytik positiv auswirken. Bei der Bildgebung vor der Kathetertherapie geht es nicht mehr nur, wie bei der intravenösen Lyse, um den Blutungsausschluss. Vielmehr müssen auch angiografische Analysen und eventuell Perfusionsmessungen erfolgen, um jene Patienten zu identifizieren, die von dem nicht völlig ungefährlichen Kathetereingriff tatsächlich einen Nutzen haben.


„Die Studien zeigen, dass diese Therapie in einem Zeitfenster von sechs Stunden nach Beginn der Schlaganfallsymptome sinnvoll ist“, betont der europäische Leiter der SWIFT-PRIME-Studie, Professor Hans-Christoph Diener. Voraussetzung sei allerdings eine sichere Ortung des Gerinnsels mittels CT-Angiografie. Zum anderen dürfe das durch den Schlaganfall bereits geschädigte Areal nicht zu groß sein. Dies kann anhand unterschiedlicher Bildgebungsparameter abgeschätzt werden. Diffusionsmessungen in der MRT sind eine Möglichkeit. Auch die Messung der Gewebekollateralisierung im CT und andere teils technisch recht anspruchsvolle und oft auch noch nicht vollständig wissenschaftlich evaluierte Analysen werden diskutiert.

Eine der visionen, die dank der neuen Studien jetzt wieder aus der Schublade geholt werden und die nicht zuletzt die bildgebungsaffinen Hersteller von Hybrid-OP-Sälen frohlocken lassen dürfte, sind die an die Herzkatheterversorgung angelehnten, flächendeckend ausgerollten „One-Stop-Shops“ für die Akutversorgung von Patienten mit Schlaganfällen. Dabei handelt es sich um an die Krankenhausnotaufnahmen angedockte Katheterlabors, bei denen die Schlaganfallpatienten unmittelbar nach Aufnahme auf den Kathetertisch platziert werden, wo dann die komplette Versorgung stattfindet.

 

Dazu müssen Blutungen mithilfe eines C-Bogen-CTs ausgeschlossen werden, was mittlerweile recht zuverlässig funktioniert. Dann gilt es, anhand weiterer CT-Parameter, die ebenfalls per C-Bogen erhoben werden müssten, jene Patienten zu identifizieren, die für die mechanische Thrombektomie infrage kommen. Und diese Thrombektomie könnte dann ohne jede Umlagerung des Patienten direkt im Anschluss an die Bildgebung erfolgen.

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Redaktion E-HEALTH-COM